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Standpunkt

18. November 2020

(Zuger Zeitung, 18.11.2020)

Schaue ich morgens kurz die sozialen Medien auf meinem Handy durch, dann besteht die Welt mehr oder weniger aus CVP, Mountainbike und Katzenvideos. Es wird mir genau das gezeigt, was ich anklicke – und davon dann auch immer mehr, ein Teufelskreis. Oder auf Neudeutsch: Ich bin in einer Filter-Bubble. Ich sehe ausschliesslich den Inhalt, bei dem Facebook, Instagram & Co. denken, dass es mich interessiert. Wie soll man sich so eine ausgewogene Meinung bilden?

Natürlich, ich informiere mich hauptsächlich durch die Zeitung – genauso wie Sie alle es offensichtlich auch tun, wenn sie diesen Standpunkt lesen. Aber glauben Sie mir, das oben beschriebene Szenario trifft weit häufiger zu, als man denkt, insbesondere bei Jugendlichen. Eine Umfrage bzw. Studie der ZHAW von 2019 beispielsweise nennt für 12- bis 19-Jährige die sozialen Medien als die zweitwichtigste Informationsquelle – direkt nach Gesprächen mit Freunden und Familie und weit vor Zeitung, Fernsehen oder Radio.

Auch in meinem Umfeld passiert es immer häufiger, dass Freunde mit einer gefühlten Skandalmeldung an mich herantreten und meinen: «Da muss man doch etwas machen, das kann doch nicht sein!» Nicht selten stellt sich dann heraus: Das konnte wirklich nicht sein, es handelte sich ganz einfach um eine Falschmeldung.

Womit wir bei der zweiten Gefahr neuer Medien sind: die fehlende «Quellenkritik». Wenn ein Politiker vor Ihnen steht und Ihnen anhand einer haarsträubenden Geschichte erklärt, warum Sie für oder gegen etwas sein sollen – dann entwickeln Sie zurecht eine gewisse Skepsis. Was allerdings geschrieben, fotografiert oder gar gefilmt ist, wird häufig einfach als Tatsache genommen. Grundsätzliche Fragen gehen vergessen: Wer hat’s geschrieben, und welche Ziele verfolgt sie oder er damit? In welchem Kontext steht die Aussage? Stimmt das überhaupt, oder ist’s ganz einfach frei erfunden? In den neuen Medien kann jeder alles schreiben – es gibt keine Qualitätskontrolle oder journalistische Grundansprüche.

Sie denken, «alles nicht so schlimm»? Meiner Meinung nach hat dies erheblichen Einfluss auf Herausforderungen, mit denen wir uns gegenwärtig konfrontiert sehen: absolut kein Verständnis für politisch Andersdenkende. Weiter stark zunehmende Polarisierung. Oder auch abstruse Verschwörungstheorien mit zahlreichen Anhängern quer durch alle Bevölkerungsschichten. Aktuelle Beispiele davon gibt’s genügend, schauen Sie nur in die USA oder die fanatischen Anti-Coronademonstrationen, für die sämtliche Politiker grundsätzlich Volksverräter sind. Alles massgeblich angeheizt durch neue Medien, inklusive Filter-Bubble und Fake News. Dies alles ist ganz sicher nicht förderlich für ein gutes Zusammenleben unserer Gesellschaft.

Deswegen bin ich überzeugt – der Umgang mit neuen Medien gehört auch in der Schule gelehrt. Neue Medien als Informationsquelle sind nicht per se schlecht – aber es ist ungemein wichtig, dass die Informationen daraus kritisch eingeordnet werden.

Und warum richte ich diese Gedanken an Sie – wo Sie doch gerade eine klassische, gedruckte Zeitung vor sich haben? Ich zähle darauf, dass Sie mich und mein Anliegen verstehen. Fordern Sie Ihre Kinder heraus, Arbeitskolleginnen, Arbeitskollegen, Schülerinnen, Schüler, Familien. Die Welt besteht zum Glück nicht nur aus CVP, Mountainbike und Katzenvideos.

(Hinweis: In der Kolumne «Standpunkt» äussern sich Mitglieder des Grossen Gemeinderats Zug zu frei gewählten Themen. Ihre Meinung muss nicht mit derjenigen der Redaktion übereinstimmen.)