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Präsident Gerhard Pfister und Umbau der CVP

9. Februar 2020

Offensive in den grossen Kantonen:

So radikal will Gerhard Pfister die CVP umbauen

In den Kantonen Zürich, Bern, Waadt und Aargau hält die CVP nur 3 von 94 Sitzen. Deshalb will Präsident Gerhard Pfister die Zentren erobern. Dafür muss er aber die CVP umbauen: von der Milieu- zur Themenpartei mit Bewegungscharakter.

Othmar von Matt in der Luzerner Zeitung vom 08.02.2020
«Die vier Kantone Zürich, Bern, Waadt und Aargau seien "für den Wähleranteil der CVP tatsächlich sehr wichtig", sagt CVP-Präsident Gerhard Pfister.

«Die vier Kantone Zürich, Bern, Waadt und Aargau seien «für den Wähleranteil der CVP tatsächlich sehr wichtig»,

sagt CVP-Präsident Gerhard Pfister.

Andre Albrecht

Die Senioren der CVP 60+ horchen auf, als Gerhard Pfister seine Botschaft platziert. Die CVP komme in den bevölkerungsreichen Kantonen Zürich, Bern, Waadt und Aargau auf nur drei Nationalratssitze, sagt der CVP-Präsident. Diese vereinigten aber fast die Hälfte der 200 Nationalratssitze: 94. Pfisters Folgerung am Anlass in Sursee: Wäre die CVP hier so gut vertreten wie im Rest der Schweiz, hätte sie 18 Prozent. Und wäre die zweitgrösste Partei.

Besonders augenfällig zeigt sich das CVP-Dilemma auf einer Fahrt von Luzern über Malters und Langnau nach Bern. Die Landschaften des Entlebuch und des Emmentals ähneln sich, auch wenn die Hügel im Emmental sanfter sind. Einen dramatischen Unterschied gibt es aber: den Wähleranteil der CVP.

Von Luzern (14 Prozent) über Entlebuch (34) steigt er bis auf 40 Prozent (Hasle) an. Ab der Berner Kantonsgrenze sackt er praktisch auf null ab: Langnau 1 Prozent, Bern 2 Prozent.

Bern gehört, wie Zürich und die Waadt, zu den reformierten Kantonen. Anders der Aargau: Er ist halb reformiert und halb katholisch. Kein Wunder, stammen zwei der drei CVP-Parlamentsmitglieder der grossen Kantone aus dem Aargau.

Zurückziehen? Oder wachsen? Die Schicksalsfrage

Gerhard Pfister steht vor einer Schicksalsfrage: Soll sich die CVP auf ihre Stammlande zurückziehen? Das würde bedeuten, dass sie schleichend Wähleranteile und Sitze verliert wie seit 1979. Ein Sterben auf Raten.

Oder soll er einen Befreiungsschlag wagen, hinaus in die Ballungszentren der Schweiz? Dann hat die Partei Wachstumspotenzial, muss aber radikal umgebaut werden.

«Wir können eine Partei für das 21. Jahrhundert entwickeln.»

Da er die CVP 2019 überraschend stabil halten konnte, bietet sich Pfister ein Zeitfenster für einen Umbau für die Wahlen 2023. «Wir können nun eine Art Alpen-Opec bilden, damit fallen wir aber in acht Jahren unter zehn Prozent», analysiert er. «Oder wir können eine Partei für das 21. Jahrhundert entwickeln, die attraktiv ist für alle Wählerinnen und Wähler, die eine bürgerliche Mitte wollen und für die Solidarität zählt.»

Pfister entschied sich für den zweiten Weg. «Die vier Kantone sind tatsächlich für den Wähleranteil der CVP sehr wichtig», sagt er. Das liess ihn die zentrale Frage anstossen: Hindert das C, das Christliche, die CVP an ihrer Entwicklung? Die Diskussionen zeigen: Das C gilt selbst in den Stammlanden als Problem, für eine Offensive im Mittelland ist es eine echte Hypothek. Mit seiner Wertedebatte hatte Pfister das C ab 2016 zu legitimieren versucht. Nur: Das verfing nicht. Die Debatte wurde gestoppt.

Im Raum steht eine Fusion mit der BDP

Das C erschwert auch eine mögliche Fusion mit der BDP. Deshalb überzeugte Pfister die Bundeshaus-Fraktion, mit BDP und EVP eine gemeinsame Fraktion zu bilden – unter dem Label «Die Mitte». Ein entscheidender Schachzug, damit die BDP nicht zur FDP abwanderte. Die BDP arbeitet zurzeit ihre Wahlniederlage auf.

Gespräche für eine Fusion gibt es (noch) nicht. «Wir schauen unsere Situation ergebnisoffen an», sagt BDP-Präsident Martin Landolt. Er betont, dass er den Prozess der CVP «spannend» finde: «Wir beobachten ihn aufmerksam und prüfen zu gegebener Zeit, ob und inwiefern dies in unseren eigenen Überlegungen eine Rolle spielen kann.»

Es war Historiker Urs Altermatt, der schon 2014 schrieb, die katholische CVP und die reformierte BDP sollten fusionieren – «zu einer Partei ohne C im Namen». Die beiden Parteien ergänzten sich: «Beide sind wertkonservativ, haben eine soziale Verankerung in Dörfern und kleineren Städten.»

Anders als in Deutschland CDU und CSU muss die CVP über das C auch mit der Basis diskutieren, sagt CVP-Präsident Pfister: «Denn in der Schweiz gibt es seit 1848 einen Konsens, dass  Religion in der Politik problematisch ist.» Mit einem neuen Parteinamen liessen sich konfessionelle Hindernisse zwischen der CVP und der BDP abbauen.

«Mehr Dynamik, mehr Arbeit, mehr Streitkultur»

Pfister strebt einen eigentlichen Kulturwandel an in der CVP. Er will den Rhythmus einen Gang höher schalten: mehr Dynamik, mehr Arbeit, mehr Streitkultur, weniger Selbstgenügsamkeit. «Wir müssen aktiver arbeiten, in wichtigen Dossiers früh und eigenständig eine Position erarbeiten, um den Lead zu übernehmen», sagt er. «Wie wir das beim Rahmenabkommen mit der EU erfolgreich machten.»

Der Kulturwandel betrifft auch die Organisation. Aus der Milieupartei soll eine Themenpartei mit Bewegungscharakter entstehen. Dafür will Pfister den Zugang zur CVP vereinfachen. Es sollen sich auch Nicht-Mitglieder an CVP-Projekten beteiligen können. «Die lebenslange Bindung an die Partei nimmt ab», sagt er. «Heute engagieren sich die Menschen eher für Projekte.»

Sebastian-Kurz-Methoden auch in der Schweiz

Lernen von Sebastian Kurz: Die CVP will mehr Bürgernähe, wie sie Österreichs ÖVP-Obmann und Bundeskanzler vorlebt.

Keystone

Weg von verkrusteten Parteistrukturen, hin zu mehr Bürgernähe: Auf dieses Erfolgsrezept des ÖVP-Obmannes Sebastian Kurz, auch Österreichs Bundeskanzler, will Pfister setzen. Selbst als Kanzler lädt Kurz Menschen zu Wanderungen ein – bis zu 1500 wandern mit. «Unsere Politik muss nahbarer werden», sagt Pfister. «Wir brauchen für unsere Arbeit und unsere Anlässe eine maximale Aussenwirkung», betont er. «Sie sollten möglichst wenig parteiinterne Auftritte sein, es sollten möglichst viele Nicht-CVP-Leute erreicht werden können.»

Auf dem Weg zur Bewegung will die CVP weiterhin konsequent auf Digitalisierung setzen. Das soll «den permanenten Dialog mit CVP-Wählenden und Nicht-CVP-Wählenden» ermöglichen, sagt Pfister. Aus diesen Kontakten will die CVP Helferinnen und Helfer generieren.

Für eine erfolgreiche Kampagne brauche es drei C, hatte Philipp Maderthaner dem «Spiegel» gesagt, der Kampagnenchef von Sebastian Kurz: «Candidate, Campaign, Cause, also Kandidat, Kampagne, Anliegen.» In zwei von drei Punkten sieht Gerhard Pfister die CVP gut unterwegs. «Wir hatten über 700 Kandidaten, die Kampagne war konsequent digital.»

Doch leicht ratlos wird selbst der Präsident, wenn es um Punkt drei geht, die Anliegen. «Diese für alle verständlich zu formulieren bleibt die grosse Herausforderung», sagt er. «Daran müssen wir arbeiten.»