„Plan B“: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!
19. August 2017
Wer sich mit der Rentenreform 2020, über die wir am 24. September abstimmen, befasst, erkennt bald die Vielschichtigkeit der Vorlage. Es geht gleichermassen um Generationen-, Geschlechter-, Vorsorge-, Finanz- und Steuerfragen. Es verwundert daher nicht, dass wir uns seit 20 Jahren so schwer tun, unser Rentensystem neu zu gestalten. Dies obwohl der Handlungsbedarf ausgewiesen ist (die Demographie lässt grüssen) und Dringlichkeit unbestritten ist. Reformbestrebungen in den letzten Jahren scheiterten an der Urne oder im Parlament kläglich, vielfach wegen unheiligen Allianzen zwischen Links und Rechts. Zurzeit verfolgen wir eine höchst problematische Augen-Ohren-Mund-zu-Strategie. Und die Wand naht.
Vor diesem Hintergrund entstand im Parlament eine Vorlage, die den verschiedenen Interessen Rechnung trägt und damit eine Chance auf Zustimmung beim Volk hat. Der Aufschrei bei den superklugen Parteiideologen, Wirtschafts- und Vorsorgetheoretikern sowie den kompromisslosen politischen Interessenvertretern kam stante pede. Und vermutlich sind einzelne ihrer Argumente auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Doch was ist die Alternative? Eine abermalige Blockierung der Rentenfrage auf Jahre hinaus? Eine weitere Verschärfung der finanziellen Probleme mit Milliardenverlusten bei AHV und Pensionskassen? Noch höhere Querfinanzierungen via Mehrwertsteuer? Weiterhin ungleiches AHV-Alter für Mann und Frau?
FDP-Präsidentin Petra Gössi, die unlängst Auslandschweizer als Schmarotzer verunglimpft hat, nimmt einen Scherbenhaufen bei einer zentralen Staatsaufgabe in Kauf. Zur Beschwichtigung zauberte sie alsbald einen „Plan B“ aus dem Hut. Wie aus der Management-Fibel – wunderbar! Doch warum soll das Stimmvolk (vor allem warum sollen die Frauen!) plötzlich und ohne Abgeltung einem generellen Rentenalter 65 zustimmen, nachdem dieses Vorhaben 2004 entgegen der klaren Empfehlung des Parlaments gescheitert ist? Und weshalb soll das Volk einer Senkung des Mindestumwandlungssatzes von derzeit 6.8% auf 6.0% zustimmen, wenn es erst 2010, ebenfalls entgegen der klaren Meinung des Parlaments, eine schrittweise Senkung auf 6.4% verweigert hat. Nun, da halte ich es bezüglich dieses Plan B mit Johann Wolfgang Goethe: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“
Ich wünsche mir für den bevorstehenden Abstimmungskampf etwas weniger Ideologie, dafür mehr Pragmatismus und Realitätssinn, vor allem bei denjenigen Parteien, die massgebende Geburtshelfer des aktuellen schweizerische Rentensystems waren und damit politische Weitsicht bewiesen haben. Eine Rentenreform ist nie endgültig; sie hat sich den demographischen, gesellschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten anzupassen. Wird die Rentenreform 2020 angenommen, beginnt die Arbeit für die Rentenreform 2030. Diese wird bei einem Ja am 24. September weniger einschneidend sein.
Ich bin überzeugt, dass namentlich bürgerliche Vertreter der Wirtschaft, die sich in wandelnden Märkten bewegen und es sich gewohnt sind, im Hinblick auf unternehmerischen Erfolg Chancen und Risiken abzuwägen, bei genauer Betrachtung zum Schluss kommen werden, dass ein Ja am 24. September die bessere Option als ein Nein ist. Sie müssen es ja ihren Verbandsfunktionären, die lieber economiesuisse-Broschüren als Goethe lesen, nicht unter die Nase reiben. Es genügt, wenn sie es ihren Mitarbeitenden, für die sie über die Arbeitszeit hinaus eine soziale Verantwortung tragen, erklären.