Ich zuerst!
27. Januar 2017
Bei der Vereidigung des neuen Amerikanischen Präsidenten Donald Trump vor einer Woche rief dieser in die Welt hinaus „America first – Amerika zuerst!“. Hinter dieser Aussage des mächtigsten Mannes der Welt steckt mehr als nur ein gesundes Selbstbewusstsein. Dies hat er nur wenige Tage später in die Tat umgesetzt, als er entschied, neue Mauern an der Landesgrenze hochzuziehen und geplante Handelsbeziehungen abzubrechen.
Ähnliche Tendenzen lassen sich auch in Europa feststellen, wenn bei einer Zusammenkunft rechtsradikaler Parteien nationalistische Töne angeschlagen werden. Besteht die Gefahr, dass im neuen Jahr auf unserem Kontinent solche Ideologien mehrheitsfähig werden? Dahinter verstecken sich Menschenbilder, die von der Kraft der eigenen Stärke ausgehen und dem Anderen eine geringere Stellung zuteilen. Auch in unserem Land ist der Ruf „wir zuerst“ unüberhörbar. Betrachtet man diese Tendenzen aus einer gewissen Distanz und lässt den Blick zurück in die Geschichte schweifen, so lässt dieses Gesellschaftsbild ein unbehagliches Gefühl aufkommen.
Wenn wir uns im Abendland wähnen, das christliche Weltbild zu verwalten und unseren Nachkommen weiterzugeben, so sei daran erinnert, dass Eigenliebe und Nächstenliebe einander gleichgestellt sind. Immanuel Kant hat in seinem kategorischen Imperativ sinngemäss festgestellt, dass jeder Mensch nach den Grundsätzen handeln sollte, die er auch für die Allgemeinheit als gut betrachte. Aus diesen fundamentalen Überlegungen heraus hat sich der politische Grundsatz eines aufgeklärten Staates entwickelt, wonach sich Eigenverantwortung, Subsidiarität und Solidarität ergänzen. Der Begriff Eigenverantwortung deckt sich in keiner Weise mit dem Begriff Egoismus. Letzterer steht auch im Widerspruch zur Solidarität, welche unsere Gesellschaft letztlich zusammenhält. Die Subsidiarität ermahnt uns, dass wir die anstehenden Fragen wenn immer möglich auf der kleinstmöglichen gesellschaftlichen Stufe angehen und lösen. Als Amtsträgerin will ich mich an diesen drei Elementen orientieren.
Wer in der Politik und im öffentlichen Leben eine besondere Verantwortung trägt und sich obige Erkenntnis verinnerlicht, ist aufgerufen, den aufkeimenden egoistischen Parolen auf nationaler und internationaler Ebene mit klaren Worten Einhalt zu gebieten. Dies setzt von den Regierenden persönliche Integrität voraus, aber auch Offenheit und die Bereitschaft, den Erkenntnissen konkrete Taten folgen zu lassen.
Im Gegensatz zum neuen US-Präsidenten hat sein Vorgänger Barack Obama zum gemeinsamen Handeln und nicht zu Abgrenzungen aufgerufen. Vielmehr hat er das gemeinschaftliche Miteinander betont. Wir erinnern uns an seinen Slogan „Yes, we can – Ja, wir können!“. Dabei meint er das WIR und die Fähigkeit, dass wir etwas TUN können. Gleiches wünsche ich mir für mein Land, wenn es gilt, zwischen der älteren und jüngeren Generation den Ausgleich zu finden, einheimische und ausländische Menschen miteinander zu verbinden und für die weltweiten Herausforderungen bereit zu sein.