Gleichstellung, tatsächlich?
12. März 2021
«Wieso immer diese Gleichstellung? Die heutigen Frauen stehen auch ohne ihren Mann!», schreibt eine Socialmedia-Nutzerin unter den Beitrag meines Kollegen.
Tatsächlich: Frauenstimmrecht– vor fünfzig Jahren erhalten! Internationaler Tag der Frau – gefeiert! Geschlechterrichtwert in Verwaltungsräten – verankert! Tatsächlich: Vor unserem Gesetz, das vieles in unserem Alltag regelt, sind Mann und Frau gleichberechtigt. Tatsächlich? Sind der Taten genug, reichen heute Worte? Warum auch ich in dieser Kolumne Worte darüber verliere, dass es in Sachen Gleichberechtigung nach wie vor Taten braucht, möchte ich Ihnen an zwei Beispielen zeigen:
Tatbestand 1: Die fehlenden Frauen in Führungsposition lassen sich gut quantifizieren und thematisieren. Ein weniger gehörtes Problem orte ich weiter unten in der Gehaltskette. In verschiedenen Berufszweigen ist es Usus, dass junge Schulabgängerinnen nicht in einem Lehrverhältnis mit Ausbildung und gesicherter Zukunft angestellt werden. Man lässt sie in einem Praktikum ohne verlässliche Perspektive zu einem tiefen Lohn eine volle Arbeit erledigen. Dass damit der Grundgedanke unseres schweizerischen Berufsbildungssystems mit Füssen getreten wird, schien bis anhin kaum jemanden zu stören. Ist es Zufall, dass es sich dabei fast ausschliesslich um junge Frauen in typischen Frauenberufen handelt?
Tatbestand 2: Die Organisation der Kinderbetreuung ist für Eltern, die nicht wie mein Ehemann und ich auf die tatkräftige Unterstützung der Grosseltern zählen können, besonders von Kindern im Schulalter eine Herkulesaufgabe. Ähnlich schwierig verlief die Diskussion zu unserer CVP-Motion in dieser Sache im Kantonsrat. Man zeichnete das Bild von Staatskindern, am liebsten 7×24 abgeschoben. Das Ziel ist jedoch, dass – egal in welchem Rollenmodell Sie leben – Ihr Kind den Bedürfnisse Ihrer Familie entsprechend einen gesicherten und qualifizierten Betreuungsplatz hat. Schlechte Strukturen behindern die Gleichstellung im Alltag und in den Köpfen.
In einer gleichberechtigten Gesellschaft muss niemand «seinen Mann stehen», weil wir zusammenstehen – tatsächlich!