CVP und das «C»
14. Februar 2020
Die CVP kann nicht ohne das «C»
Eine CVP ohne «C» im Namen soll neue Wähler ausserhalb der traditionellen Stammlande bringen. Es ist ein Spiel mit hohem Einsatz und dem Risiko, die Partei endgültig in der Bedeutungslosigkeit zu versenken.
Es gibt keine andere Partei in der Schweiz, die ein so fragiles Selbstbild hat wie die CVP. Die Verunsicherung darüber, wer man eigentlich ist, wofür man steht, treibt die Partei auch dieser Tage wieder um: Ist die Nähe zum Christlichen ein Problem? Wer sind unsere Wähler? Müssen wir uns neu erfinden, um eine Zukunft zu haben? Die aktuellen Diskussionen rütteln an Grundsätzlichem.
Rein numerisch betrachtet, ist es sicher nicht falsch, dass die CVP ausserhalb ihrer Stammlande Wachstumspotenzial aufweist. Von den 94 Sitzen, welche die bevölkerungsreichen Kantone Zürich, Bern, Aargau und Waadt zusammen im Nationalrat haben, hält die CVP, die in der grossen Kammer insgesamt 25 Sitze hat, gerade einmal 3. Angesichts dessen scheint ein Ausgreifen in die traditionell protestantisch geprägten Gebiete des Mittellandes durchaus lohnenswert. Ob dies gelingt, steht jedoch auf einem anderen Blatt.
Schreckensvision Alpen-Opec
Auf jeden Fall ist die Diskussion um das «C» einmal mehr lanciert. Das Label «Christlichdemokratisch» sei nicht mehr zeitgemäss, davon sind auch namhafte Exponenten der Partei, unter ihnen die Walliser Bundesrätin Viola Amherd, überzeugt. Es brauche endlich eine frischere Aussenwirkung, sagen auch Mitglieder der Jungen CVP.
Alternative Namensvorschläge gibt es derweil genug. Sie reichen von «Centrumsvolkspartei» über «Demokratische Volkspartei» bis hin zur Minimalvariante «Die Mitte». Weniger weit gehende Vorschläge würden dem Bestehenden gerne einen Zusatz beifügen, ähnlich wie bei «FDP.Die Liberalen». So hiesse man in Zukunft etwa: «CVP – die Mitte» oder «Die Mitte – CVP».
Offenbar gelangte nun aber auch Pfister zu der Einsicht, dass es wohl mehr Bürde denn Chance ist. Pfister selbst stellte das «C» nach den Wahlen öffentlich zur Disposition. Die Reaktionen auf diesen eher unerwarteten Vorstoss seien grösstenteils positiv gewesen, sagte er gegenüber der «Aargauer Zeitung». Weitermachen wie bisher ist für Pfister offensichtlich keine Option mehr: «Wir können eine Art Alpen-Opec bilden, damit fallen wir aber in acht Jahren unter 10 Prozent.» Heute hat die CVP noch einen Wähleranteil von 11,4 Prozent.
Vor genau fünfzig Jahren hat die Partei schon einmal probiert, aus dem eigenen Milieu auszubrechen. Ab den 1970er Jahren profilierten sich die einstigen Weltanschauungsparteien in der Schweiz zunehmend als Volksparteien mit dem Ziel, ausserhalb des eigenen Milieus Wähler anzusprechen. Im Zuge dessen wurde 1970 aus der «Konservativ-Christlichsozialen Volkspartei» (KCV) die heutige «Christlichdemokratische Volkspartei» (CVP). Die Umbenennung signalisierte die Abkehr vom Erbe des politischen Katholizismus. Es war der Versuch, sich als Partei einer überkonfessionellen, bürgerlichen Mitte zu profilieren.
Anstehende Zerreissprobe
Vielleicht hilft ja, dass Pfister die Partei in der Art und Weise, wie sie funktioniert, auf modern trimmen will. Weniger Partei und mehr Bewegung soll die CVP sein. In Zeiten, in denen Parteibindungen schwinden, sei es wichtiger geworden, von Fall zu Fall Stimmbürger gezielt für Projekte einspannen zu können. Auch solche aus den grossen Ballungszentren der Schweiz. Über die digitalen Kanäle könne man jene Bevölkerungskreise erreichen, die sonst nur wenig Berührungspunkte mit der CVP aufwiesen.
Einer der Slogans der Partei heisst «CVP. Wir halten die Schweiz zusammen». In den kommenden Jahren könnte es für die CVP jedoch vor allem darum gehen, die eigene Partei beisammenzuhalten. Denn letztlich ist die Rechnung eine simple: Lassen sich durch einen säkularen, vielleicht auch progressiveren Auftritt, wie er sich mit der Namensdiskussion sanft ankündigt, neue Wählerschichten ausserhalb der Stammlande erschliessen, ohne dass gleichzeitig die traditionelle Basis nachhaltig beschädigt wird?
Es gelte nun vielmehr, das «C» wieder mit Inhalten zu füllen, ist Rieder, seines Zeichens ein Konservativer, überzeugt: «Das Kürzel ‹CVP› wurde immer nur als Marke betrachtet. Gleichzeitig hat man sich aber zu wenig um die Ideologie der Partei gekümmert.» Tatsächlich dürfte die angestrebte Eroberung des bevölkerungsreichen Mittellandes nicht mit Digitalstrategie und Bewegungscharakter allein zu bewerkstelligen sein. Die Partei muss ein inhaltliches Angebot machen, das neue Wähler anspricht. «Bürgerliche Mitte» wird nicht reichen.
Profitieren von der Schwäche der Konkurrenz
In den grossen Kantonen des Mittellandes ist das Angebot in der politischen Mitte üppig. FDP und GLP decken einen guten Teil davon ab. Und die Wähler aus den urbanen Zentren haben nicht auf eine mit oder ohne «C» daherkommende CVP gewartet. Wenn überhaupt, dann dürfte es im weiten Mittelland am ehesten noch in der sozial-konservativen Mitte Platz haben. Also an jenem Ort, wo zurzeit die BDP in einzelnen Kantonen, wie zum Beispiel in Bern, mehr schlecht als recht vor sich hin vegetiert.
Ironischerweise schliesst Präsident Pfister just in jenem Moment eine Modernisierung der Partei samt neuem Namen nicht mehr aus, in dem erstmals seit langem eine wertkonservativer aufgestellte CVP bei den Wählern wieder punkten könnte. Die SVP ist nicht erst seit den Wahlen 2019 in einer Krise. Es fehlen zurzeit Ideen und die Köpfe. Gleichzeitig scheint die CVP selber geeinter aus den Wahlen hervorgegangen zu sein. Wichtige Exponenten des sozialliberalen Flügels sind ausgeschieden. Nachrückende Köpfe gehören eher der konservativeren CVP an. Es sind eigentlich gute Voraussetzungen, um in den eigenen Stammlanden der SVP endlich wieder entgegenzutreten. Lange Jahre hatte man der protestantisch geprägten Konkurrenz das Feld fast kampflos überlassen. Und die SVP wusste die Schwäche der CVP auszunutzen.
Eines ist klar: Es wird schwierig, in den urbanen Gebieten neue Wähler zu gewinnen – auch ohne «C» im Namen. Einfacher wird es für die CVP sein, dort Wählerstimmen zurückzugewinnen, wo man sie in den vergangenen Jahrzehnten massiv an die SVP verloren hat. Doch dies geschieht sicher nur mit einem klaren Profil – und vermutlich auch nur mit dem «C» im Namen.