Kriegs-Rhetorik und andere Unsitten
20. September 2021
Ich wollte in diesen Zuger Ansichten nicht über Corona schreiben. Das Thema lässt mich allerdings einfach nicht los und so möchte ich Euch ein paar Gedanken mitgeben. Die unlängst auf Social-Media verbreiteten Hasstiraden gegenüber Behörden und Bundesrat bereiten mir ernsthafte Sorgen betreffend unserem sozialen Zusammenhalt in der Schweiz. Über dieselben Kanäle sind auch bitterböse Zitate verbreitet worden, welche unsere Pandemiebekämpfung mit dem Nazi-Regime des zweiten Weltkrieges vergleichen. Trotz unserer zurecht geliebten Meinungsfreiheit geht mir dies definitiv zu weit. Hier wird eine, aus nicht nachvollziehbaren Gründen, rote Linie überschritten. Ich erhalte den Eindruck, dass die vehementen Impfgegner prominent in allen Medien vertreten sind. In der Haut von Alain Berset als Bundesrat zu stecken ist seit eineinhalb Jahren wahrlich sehr beklemmend. Personen, die ihn vor ein Kriegsgericht stellen möchten, sind für mich sehr schwierige Mitbürger. Ich meine, gerade hier in der Schweiz, welche weder durch Kriege, Hungersnot, Diktatur oder einer sonstigen Katastrophe getroffen wurde, kann sich unsere Generation mit keiner Vorstellungskraft nur annähernd wirkliche Leiden vorstellen. Vergleiche von Nazizitaten mit unserer äusserst demokratischen Regierung zeugen von einer ungeheuren Respektlosigkeit, groben Unwissen und wenig geschichtlicher Bildung. Es ist mir bewusst, dass nicht alle bundesrätlichen Entscheide geschickt waren, jedoch ist eine Pandemie kein Routinefall, welcher nach Schema F abgehandelt werden kann. Schauen Sie über unsere Landesgrenzen hinaus, vergleichen Sie unsere Pandemiebekämpfung mit deren anderer Staaten und Massnahmen, und sehen Sie, es ist geradezu ein «Zuckerschleck» in der Schweiz leben zu dürfen. Es gibt sogar auch Länder, welche keine Pandemiebekämpfung haben, da sie weit grösseren Problemen ausgesetzt sind: Existenzprobleme, Hunger, keine Arbeit und ein unzureichendes Gesundheitssystem. Unsere Parteikollegen auf der rechten Seite bemängeln die mangelhafte Kommunikation des Bundesrates. Etwas mit Ironie verbunden ist, dass nun Tage später ausgerechnet ihre Bundesräte, welche die kostenpflichten Tests gefordert haben, wahrscheinlich wieder zurück krebsen und etwas anderes verlauten werden. Es ist viel leichter zu kritisieren, als konstruktive Lösungen aufzuzeigen und sie mitzutragen. Denn dies ist mit grosser Arbeit verbunden, bringt wenig Publizität und ist sehr unattraktiv, wer will das schon? Um den sozialen Zusammenhalt nicht weiter zu schwächen und zu gefährden, bin ich als Impfbefürworter dafür, weiterhin Gratistests anzubieten. Es ist politisch klüger, denn somit werden die Fronten nicht noch weiter unnötig verhärtet. Es wäre eventuell an der Zeit, dass wir unser Individuum einmal hintenanstellen und uns solidarisch und toleranter in unserem gut ausgebauten und stabilen Sozialstaat verhalten. Wir dürfen so lange unsere Freiheit geniessen, solange sie nicht die Freiheit anderer einschränkt. Wir können nur gemeinsam aus dieser Pandemie herausfinden. Zwischendurch einen unpopulären Entscheid ohne Kriegs-Rhetorik zu akzeptieren, wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Roger Wiederkehr
Kantonsrat Die Mitte, Risch-Rotkreuz