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CVP statt SVP

4. Oktober 2020

«Könnte es sein, dass die Nieder­lage der SVP mit ihrer Begrenzungs­Initiative vor einer Woche mehr ist als eine weitere Nieder­lage der Schweizer Rechtspopulisten – nämlich ein poli­tischer Wendepunkt?

Die Schweiz wird städtischer. Das Schweizer Mittelland wächst zu ­einer einzigen Agglomeration zusammen – ungeplant, ungestaltet, un­gewollt, aber eben urban.

In Stadtlandschaften leben Städter: Menschen mit einem modernen ­Lebensgefühl, einem globalen Verständnis von Zivilisation, einer Vor­liebe für Multikultur, für Internatio­nalität, für europäische Solidarität – aus SVP-Sicht Begriffe des Schreckens.

Die Schweizerische Volkspartei: out. Linksliberalgrün: in.

Auslöser dieses Unbehagens waren die Überfremdung durch Migranten, die Entfremdung durch Internationalisierung des poli­tischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschehens, der Souveränitätsverlust durch Vernetzung der Schweiz mit übernationalen Institu­tionen wie Europäische Union oder Nato.

Ja, die SVP bewirtschaftete gegenläufige ­Gefühle zum Gang der Geschichte. Und bot damit Hunderttausenden eine politische Heimat.

Verzichtbar ist mit Sicherheit die Vulgarität, mit der die Rechtspopulisten die demo­kra­tische Kultur beschädigten: Stilisierung politischer Gegner zu Volksfeinden, Aggres­si­vität gegen Einwanderer, Hetzpropaganda bis hin zu Anleihen aus der Nazizeit.

Das alles war zwar nie die ganze Partei, aber eben doch die Führung des Unternehmens SVP. Für diese Führung stehen aktuell Namen wie Aeschi, Matter, Glarner, Köppel, Martullo – Knaben und Knäbin ohne Kinderstube. Über ihren geduckten Köpfen waltet «Übervater» Blocher, wie Journalisten den Patriarchen und Berserker verzückt zu nennen pflegen – der eigentliche Besitzer der Partei.

Das System Schweizerische Volkspartei funktionierte viele Jahre lang nach dem Prinzip: Unanstand als Faszinosum.

Geht der Rechtspopulismus? Kommt der Linkspopulismus?

Es wäre – es ist – der Populismus eines wohlbestallten Milieus aus Publizisten, Pastoren und Professoren plus deren pubertierender Jungschar aus Gymi und Uni. Die entsprechenden politischen Positionen und Man­date werden gerade erobert: in Gemeinden, Städten, Kantonen und Bund.

Was fehlt, ist eine konservativ-liberale oder liberal-konservative Kraft, die bewahrt, was die Arbeiterbewegung den fortschrittlichen Kräften im Freisinn und im christlich-­sozialen Konservatismus einst abgerungen hat: den Sozialstaat mit Schutz gegen Arbeitslosigkeit, Krankheit und Altersarmut; den Rechtsstaat mit seiner Praxis von Recht und Ordnung; das Recht auf gesellschaftlichen Aufstieg; die Teilhabe am wirtschaft­lichen ­Erfolg; die Zugehörigkeit zur bürger­lichen Gesellschaft; die soziale und kulturelle Geborgenheit in der Heimat Schweiz.

Wer könnte diese bewahrende Rolle übernehmen? Am ehesten eine in­tellektuell und kulturell ausgewie­sene Partei der Mitte: Gerhard Pfisters «Die Mitte», bisher bekannt als Christlichdemokratische Volkspartei, CVP.

Schon immer waren die Christdemokraten eine Herberge des konserva­tiven Bildungsbürgertums, reich an kultivierten Persönlichkeiten, die das politische Geschehen prägten: mit Bundesräten von Kurt Furgler über Hans Hürlimann bis Flavio Cotti, mit Parlamentariern von Julius Binder über Guy Fontanet bis Leo Schürmann – und das sind nur einige we­nige; es waren Dutzende.

Ja, die CVP ist im Hinblick auf politische ­Kultur das pure Gegenteil der SVP. Aktuell darf ohne Übertreibung gesagt werden: Mit ihrem Präsidenten Gerhard Pfister stellt die Partei den gebildetsten Kopf der Bundes­versammlung.

Damit wäre ein konservativ-liberales Korrektiv zur linksliberalgrünen Strömung möglich.

Und die SVP? Wo bleibt sie? Weshalb sitzt sie im Bundesrat? Nichts gegen ihre zwei tüch­tigen Minister. Sie stehen der Partei rechnerisch auch zu. Politisch allerdings wäre eine neue Konstellation denkbar, wenn nicht gar angebracht: raus mit der Populistenpartei aus dem Siebnerkollegium, dessen Regierungskultur sie trotz Regierungsbeteiligung nie akzeptierte, weil sie so sehr fixiert ist auf den politischen Konflikt, auf das Zerwürfnis um jeden Preis – auf das Testosteron der Feindschaft.

Zu einer neuen Zauberformel müsste «Die Mitte», die CVP, den Anstoss geben: wie einst im Jahr 1959, als ihr politisch genialer Generalsekretär Martin Rosenberg den Sozial­demokraten erstmals zu ihren beiden Bundesratssitzen verhalf.

Von Rosenberg zu Pfister – von der Schweiz gestern zur Schweiz heute.»

Quellenangabe: Sonntagsblick vom 4. Oktober 2020, Frank A. Meyer – die Kolumne